Was ist Frequenzstaffelung in der Musikmischung?

Autor: Alexander Rothenberg

Nach einigen Jahren Corona- und Kinderpause geht es endlich weiter mit Tutorials zum Thema Musikmischung mit einem klaren Fokus auf Frequenzstaffelung, der schwierigsten Aufgabe in der Musikmischung. Bestenfalls haben Sie sich bereits erfolgreich die beiden Kapitel zu den akustischen Grundlagen  durchgelesen. Dann können Sie hier weitermachen. 

1. Grundlagen

1.1. Einführung

Es gibt im Fachhandel und im Internet inzwischen zahlreiche Artikel und Bücher, die sich wichtigen Gebieten der Musikmischung widmen. Sie handeln von Effekten, Kompressoren, der Mischung insgesamt, dem Mastering und so weiter und so fort, aber irgendwie kam die Frequenzstaffelung, das wohl wichtigste und schwierigste Teilgebiet beim Mixing, bislang immer ein bisschen zu kurz. Möglicherweise haben Sie zwar Sätze gelesen etwa wie „bei 100 Hz geben Sie der Stimme mit einem Equalizer mehr Volumen“, oder „senken Sie die Instrumente bei 700 Hz“ breitbandig ab, um pappige Mitten zu entfernen“, aber mal abgesehen davon, dass solche Sätze sehr gewagt sind, weil man schwierig verallgemeinern kann, haben sie darüber hinaus sehr wenig mit der eigentlichen Frequenzstaffelung zu tun. Tatsächlich wird man eine Stimme selten bei 100Hz anheben können, weil hier der Bass spielt.

Einzige Gemeinsamkeit mit solchen Sätzen ist die Verwendung eines Equalizers. Bei der Frequenzstaffelung jedoch geht es um viel mehr. Und genau dieses „Mehr“ ist wohl die mit Abstand größte Hürde bei der Erstellung überzeugender Mischungen. Vor allem betrifft das „Mehr“ auch einen Abschied vom Fokus auf das einzelne Instrument. Bei der Frequenzstaffelung zählt nur das Ergebnis: die Mischung. Ob ein Instrument einzeln abgespielt pappig oder dünn klingt, ist nicht von Belang, sondern lediglich, ob sich der Sound in der Mischung einfügt und diese mit genau der richtigen Portion „Pappe“ versorgt. Eine pappige Snare kann nämlich durchaus Charme haben, wenn sie ein Unikat darstellt.

Aber was heißt denn das, „Frequenzstaffelung“. „Staffeln“, so schreibt der Duden, heißt „Gliedern“, „Einordnen“, „Auffächern“ oder „Einteilen“. Vielleicht sollte man hier eher den nahe verwandten Begriff „Zuteilen“ verwenden. Tatsächlich passt Frequenzen „zuteilen“ bestens – und zwar den einzelnen Elementen einer Mischung, den Instrumenten. Es gibt einen Kuchen, bestehend aus allen hörbaren Frequenzen, und jedes Instrument bekommt ein, zwei oder drei mehr oder weniger große Stücke davon ab. Je mehr Instrumente gleichzeitig spielen, desto mehr müssen sich den Kuchen teilen und desto kleiner werden die Stücke.

Wenn Sie das verstanden haben, sind Sie einer erfolgreichen Frequenzstaffelung schon viel näher. Viele als positiv empfundene Eigenschaften einer Mischung wie Transparenz, Ausgewogenheit, räumliche Tiefe oder Breite hängen unmittelbar von ihr ab. 

Eigentlich kennen Sie nun bereits die Quintessenz des Tutorials, das Ende. Aber bitte hören Sie jetzt nicht auf zu lesen. Ihnen fehlt noch der Weg dorthin. Also lernten Sie in den ersten Teilen zunächst etwas über Schallwellen. Später geht es noch um Raumakustik und Regieausstattung, damit Sie Ihre Frequenzstaffelung auch korrekt hören und beurteilen können. Danach kümmern wir uns um die spektrale Zusammensetzung von Instrumentenklängen und noch später um die Verwendung der Hauptwerkzeuge für die Frequenzstaffelung. Nach der eigentlichen Frequenzstaffelung erörtern wir noch einige andere Teilgebiete der Musikmischung wie Hall und Tiefenstaffelung, bevor wir ganz am Ende den Einfluss der Frequenzstaffelung auf das berüchtigte Premastering ins Spiel bringen. Denn ob Sie es glauben oder nicht: Mastering wird durch eine gelungene Frequenzstaffelung stark vereinfacht. Es ist nämlich kein Problem, in einer komplexen Mischung das eine oder andere Instrument etwas lauter zu machen, wenn die Frequenzen der Instrumente sauber zugeteilt wurden. Aber beginnen wir von vorn.

1.2. Was ist Gehörbildung?

Je öfter und intensiver Sie an Frequenzstaffelungen arbeiten, desto besser wird Ihr Gehör in der Lage sein, Frequenzbereiche und wichtige Notenintervalle zu erkennen. Sie können den Vorgang jedoch massiv beschleunigen, wenn Sie Ihr Gehör zusätzlich trainieren. Im Fachhandel gibt es Gehörbildungs-CDs. Da ihre Produktion bei geringer Auflage recht aufwändig ist, haben gute Exemplare ihren Preis. Aber die Anschaffung lohnt sich in jedem Fall. Achten Sie darauf, dass Sie nicht nur Notenintervalle, Akkorde und Rhythmen trainieren, sondern auch den  Klang einzelner Frequenzbereiche. Der Klassiker speziell für Toningenieure sind die Kurse „Golden Ears“, die es online im Abo und auch auf CD gibt. Jeden Tag ein halbes Stündchen spontane Frequenzerkennung, und nach einem halben Jahr macht Ihnen so leicht niemand mehr etwas vor. Danach heißt es Gehörerhaltung. Es ist ein wenig, wie ins Fitnessstudio gehen. Um die Ohren fit zu halten, sollten Sie regelmäßig trainieren.

1.3. Welche Arbeits- und Gesundheitsmaßnahmen sind erforderlich?

Lautes Abhören macht müde. Darüber hinaus werden die Höhenwahrnehmung und die allgemeine Urteilskraft wesentlich schneller beeinträchtigt. Und der Lärm birgt Gefahren. Bei Dauerpegeln von 85 dB(A) und mehr sind Langzeitschäden beim Gehör nicht ausgeschlossen. Natürlich müssen Sie auch mal aufdrehen – zum Beispiel, um zu überprüfen, ob Bass und Bassdrum dröhnen und in den Boxenmembranen schnarren. Oder ob die Hochmitten in den Ohren wehtun. Aber drehen Sie besser die Lautstärke schon nach wenigen Sekunden auf einen moderaten Wert unter 85 dB(A) wieder zurück. Sonst kommt es zu einem Gewöhnungseffekt und einer Art „Suchteffekt“. Darüber hinaus kaschiert Lautstärke Fehler in der Mischung. Ein wirklich guter Mix klingt auch leise gut.

Das Mischen am Bildschirm und vor allem der Musikschnitt strapazieren die Augen. Bei Menschen mit Sehschwäche kann eine spezielle Bildschirmbrille hilfreich sein. Rückenproblemen beugen Sie mit regelmäßiger Rücken- und Bauchgymnastik und einem guten Bürostuhl vor. Der Monitor sollte sich etwas tiefer als Augenhöhe befinden. Ein Laptop, auf dessen Monitor Sie weit herunterschauen müssen, kann jedoch zunächst zu Verspannungen und später auch zu ernsthaften Rückenproblemen führen. 

Berüchtigt ist durch die starke Dauerbelastung beim Schnitt auch die „Maushand“. Vermutlich leidet fast jeder Musikedit-Spezialist im Laufe seiner Karriere einmal unter dieser sehr schmerzhaften und oftmals bald chronischen Sehnenreizung. Beugen Sie dem Ärgernis am besten gleich von Anfang an mit einer gut trainierten Handgelenk-Muskulatur und einer Stütze mit Gelkissen für das Handgelenk vor. Der Studiotisch sollte immer etwas niedriger als der entspannt hängende Ellenbogen sein, damit das Handgelenk nicht nach oben abgeknickt wird. Spezielle Handgelenkmanschetten helfen, wenn die Sehne bereits etwas abbekommen hat.

Mousepad mit Handgelenk-Stütze

Schmerzhaft, schnell chronisch und ausgesprochen hartnäckig kann auch eine Schleimbeutelentzündung (Bursitis) im Ellenbogen werden. Diese Entzündung nennt sich auch Studentenellenbogen und entsteht durch die Dauerreizung, wenn Sie sich mit Ihrem Ellenbogen immer wieder auf dem Arbeitstisch abstützen. Bei Linkshänder ist der rechte Ellenbogen betroffen, beim Rechtshänder der linke. Frühwarnsymptome sind ein trockener verhornter Ellenbogen, eine Hautrötung und später blutige Risse in der Hornhaut. Vorbeugen können Sie der Krankheit, indem Sie die gereizte Haut mit panthenolhaltiger Zinksalbe geschmeidig halten, den Ellenbogen mit einem großen Pflaster schützen und mechanische Reizungen möglichst vermeiden. Ist der Schleimbeutel erst einmal entzündet, müssen Zugsalbe und/oder der Arzt ran.

1.4. Welche Ziele verfolge ich bei der Frequenzstaffelung?

Zurück zum Hauptthema. Was macht eigentlich einen guten Mix aus, also welche Ziele setzen eine saubere Frequenzstaffelung voraus? Wir versuchen einmal, ideale Eigenschaften einer gelungenen Mischung zu formulieren und zu schauen, welche von der Frequenzstaffelung abhängen.

1.4.1. Transparent

Die Transparenz ist das Urziel der Frequenzstaffelung. Ohne Frequenzstaffelung keine Transparenz. Alle Elemente im Mix sollten deutlich vernehmbar und im Stereomix klar ortbar sein, und zwar auch dann, wenn sie im Vergleich zu anderen Elementen im Mix eher leise sind. Solche Elemente können zum Beispiel der Gesang, die Instrumente, Hallfahnen oder auch Delay-Wiederholungen sein. 

1.4.2. Ausgewogen

„Ausgewogen“ soll folgendes heißen. Im Optimalfall sind alle Frequenzen des gesamten hörbaren Frequenzspektrums (20 Hz bis 20 kHz) vorhanden (außer vielleicht der extreme Tiefbass zwischen 20 und 40 Hz), und kein Bereich ist stark über- oder unterbetont. Stark vereinfacht: Eine Mischung sollte ordentlich Bässe, Mitten und Höhen haben, aber von keinem Frequenzbereich zuviel. Im Verlauf des Buches lernen wir, wie man das Frequenzspektrum noch feiner aufteilen kann.

Frequenzgang einer ausgewogenen Mischung, angezeigt im Frequenzanalyser Voxengo Span

1.4.3. Breit

Wir leben seit 50 Jahren im Stereomusikzeitalter, und das darf beim Mixen gerne ausgenutzt werden. Das Stereopanorama bietet viel Platz für die Links-/Rechts-Dimension. Und was nicht mehr ganz zwischen die Ohren passt, kann über psychoakustische Tricks sogar noch weiter nach außen gelegt werden. Die Transparenz ist die Mutti der Breite. Nur ein Mix so klar wie Absolut Vodka wird wirklich richtig breit. Breite schafft man mit dem Panoramaregler, dem Balanceregler, dem Laufzeitdelay und mit speziellen Effekten, welche die Stereobasis verschieben oder verändern können. 

Nach zwei Dekaden noch immer „State Of the Art“, wenn es breit werden darf: Der S1 von Waves

1.4.4. Tief

Ein sehr guter Mix hat nicht nur Breite sondern auch Tiefe. Manche Sounds scheinen ganz vorn im Mix platziert zu sein, andere weiter hinten. Das Musikerlebnis wird auch bei herkömmlicher grundsätzlich eindimensionaler Stereowiedergabe „plastisch“. Das Ohr wird bei seinen Hörgewohnheiten gepackt und erfolgreich getäuscht. Leider gibt es keinen Regler oder Effekt für die Tiefenstaffelung. Die Werkzeuge sind vor allem der Equalizer und ein hochwertiger Halleffekt. Aber: Ist ein Mix nicht transparent, wird er auch nicht tief. Und damit wären wir wieder bei der Frequenzstaffelung

1.4.5. Laut

Ein Mix soll laut sein, um sich im Radio oder auf der Tanzfläche durchzusetzen. Immer wieder wird das Thema kontrovers diskutiert und oftmals böse vom „Loudness War“ gesprochen, also vom Lautheits-Krieg. Jeder möchte mit seinem Song unbedingt der lauteste sein. Tatsächlich werden laute Songs gegenüber leiseren im direkten Vergleich immer wieder als druckvoller empfunden. Selbst echte Tonprofis lassen sich manchmal von Lautheit blenden. Was auch immer man davon hält. Der „Loudness War“ hat eine interessante und gar nicht so schlechte Nebenwirkung: Nur ein wirklich transparenter und ausgewogener Mix wird auch richtig laut, ohne dabei unangenehm zu verzerren. Anders herum: Ein sehr lauter Song, der trotzdem sehr gut klingt, muss zuvor schlichtweg fantastisch gestaffelt worden sein. Im Grunde genommen hat auch der „Loudness War“ letztendlich dafür gesorgt, dass die Qualität der Mischungen heute extrem gut ist. „Laut“ ist gar nicht immer gleichbedeutend mit „böse“. Wir können festhalten: Laut machen weniger die berüchtigten Mastering-Kompressoren und -Limiter, sondern vor allem sauber gestaffelte Frequenzen.

1.4.6. Timingfest

Wer timingfest spielt, spielt genau im Takt – bei der Aufnahme also zeitlich sehr nah am Metronomklick. Viele Künstler merken erst im Studio, wie schwer es ist, den Rhythmus zu halten. Früher, im Zeitalter der analogen Bandmaschinen, war es nach der Aufnahme für Korrekturen zu spät. Durch eine gute Frequenzstaffelung werden solche Spielfehler demaskiert, weil die Mischung transparenter wird. Vor der Frequenzstaffelung sollten folglich alle Timingprobleme durch die Musiker und einen präzisen Audioschnitt beseitigt worden sein.

1.4.7. Tight

Noch so ein hübscher, „denglischer“ Begriff. „Tight“ heißt hier etwa „knackig“. Um „timingfest“ zu sein, muss der Musiker die Noten lediglich korrekt im Taktraster wiedergeben, also in der Lage sein, genau zum Metronom spielen. Der Begriff enthält aber keine Aussage darüber, wie er die Noten spielt. Dabei geht es vor allem um den Umgang mit dem Instrument und um die Qualität des Instrumentes. Sitzt die einzelne Note straff, drahtig und knackig auf dem Click, oder schwabbelt sie nur drauf herum.

Ein knackiges, tightes Spiel kommt auch dann zur richtig zur Geltung, wenn die Mischung transparent ist. Darüber hinaus können die Impulse vieler tight gespielter Instrumente, insbesondere der Schlaginstrumente, auf derselben Zählzeit zu einer ungewollten Härte führen. Bei der Frequenzstaffelung werden störende Überlagerungen solcher Transienten beseitigt, sodass die Mischung zwar noch knackig klingt, aber nicht zu hart.

1.4.8. Weitere Attribute

Ein Song darf natürlich auch druckvoll, fett oder edel klingen. All diese Eigenschaften hängen direkt mit den zuvor besprochenen Attributen Ausgewogenheit, Transparenz und Timing zusammen. Ein Song, bei dem der Übergang vom Bass zum unteren Mittenbereich aufgrund einer mangelhaften Frequenzstaffelung einbricht, also dort nicht ausgewogen klingt, kann nicht druckvoll oder fett klingen. 

1.5. Zusammenfassung

Herzlichen Glückwunsch! Sie haben das Kapitel geschafft. Sie sollten verstanden haben, was der Begriff Frequenzstaffelung bedeutet und wie groß seine Bedeutung für die Musikmischung ist. Wir haben den alternativen Begriff „Frequenzzuteilung“ ins Spiel gebracht. Sie sollten außerdem verinnerlicht haben, wie wichtig es ist, Ihr Gehör zu trainieren. Darüber hinaus haben wir die positiven Attribute einer Musikmischung und den Einfluss der Frequenzstaffelung diskutiert. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass eine gute Frequenzstaffelung ein unverzichtbarer Bestandteil einer gelungenen Mischung ist, und Sie diesbezüglich nichts dem Zufall überlassen sollten. 

In den kommenden Artikeln werden wir die Frequenzstaffelung theoretisch und praktisch weiter vertiefen. Und es wird den einen oder anderen Exkurs geben, beispielsweise in die digitale Audiortechnik.